Die Stadt Straßburg am östlichen Rand von Frankreich hat einen recht umfassenden und thematisch ambitionierten Plan zur Förderung des Fußverkehrs beschlossen und bereits einige der Maßnahmen umgesetzt. Folgende sieben Fragestellungen waren für einen Handlungsleitfaden für kommunale Fußverkehrsstrategien auch in Deutschland von Interesse:
- Welches waren die zentralen Gründe und sind die Ziele für die Initiative?
- Gibt es einen Durchführungs-Beschluss?
- Wie sehen die konkreten Handlungsanweisungen aus?
- Ist eine Bürgerbeteiligung vorgesehen?
- Wie werden die Vorhaben finanziert?
- Was ist bisher umgesetzt / erreicht worden?
Am Ende finden Sie die Quellenangabe.
Welches waren die zentralen Gründe und sind die Ziele für die Initiative?
Der Straßburger Fußgängerplan (Plan piéton de la ville de Strasbourg 2012-2020) war eine Weiterentwicklung der fortschrittlichen Verkehrspolitik der Stadt, die seit 1989 die Entwicklung einer sanfteren Mobilität fördert. Dies geschah bisher u.a. durch die Entwicklung einer autoreduzierten und fahrradfreundlichen Stadt oder durch die Einführung von Straßenbahnlinien und Fußgängerzonen. Durch den Fußgängerplan sollten folgende drei Problemstellungen angegangen werden:
1. Die Herausforderung des Gesundheitswesens
Mit der Entwicklung der motorisierten Verkehrsmittel hat sich seit 30 Jahren die körperliche Betätigung der Menschen reduziert. Die Abnahme einer ausreichenden Alltagsbewegung hat zur Erhöhung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und vom Übergewicht in der Gesellschaft geführt. Zwischen 1997 und 2009 hat sich die Anzahl von Menschen mit Fettleibigkeit im Elsass fast verdoppelt und lag im Jahr 2009 bei 17,8% (1). Die Stadt Straßburg spricht von einer wachsenden übertriebenen „Sesshaftigkeit“, die sowohl Erwachsene als auch Kinder betrifft. Die Förderung des Fußverkehrs habe also nicht nur eine praktische Tragweite, sondern sei eine Frage der Gesundheitsvorsorge.
2. Die gesellschaftlichen Herausforderungen
Für die Stadt Straßburg ist das Zu-Fuß-Gehen mit mehreren Vorteilen verbunden. Es ist gesünder, umweltfreundlicher, sparsamer und ermöglicht eine größere Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit in der Stadt. Jedoch sei der gesellschaftliche Vorteil vom Fußverkehr zu oft unterschätzt und vernachlässigt worden. Die Stadt Straßburg betont, dass Zu-Fuß-Gehen in der Stadt auch zur Entwicklung eines verstärkten Zusammenlebens und einer gemeinsamen Stadtkultur führt. Durch die Fußgängerinnen und Fußgänger existiere der öffentliche Raum und sie vermindern die „gegenseitige Fremdheit“ (mutuelle étrangeté), die einer Stadt innewohnen würde.
3. Eine Lücke in den Regelwerken
Der Fußverkehr und die Fußverkehrsstrategien waren in den Regelwerken und Planungsvorgaben des Gemeindeverbandes „Eurométropole de Strasbourg“ (Straßburg Eurometropole) oder der Stadt Straßburg bisher nicht enthalten. Im Gegensatz dazu gab es für jedes andere Hauptverkehrsmittel eine strategische Planung. Zum Beispiel ist der Autoverkehr durch einen Verkehrsplan und eine Parkraumbewirtschaftung reguliert, während der Bus, die Straßenbahn und das Fahrrad ihren eigenen Masterplan haben. Dies ermögliche eine erhöhte Nachvollziehbarkeit sowohl für die öffentlichen Investitionen als auch für die definierten Ziele und Handlungsmittel. Daher wünschte sich die Stadt Straßburg, diese Lücke durch einen Fußverkehrsplan zu schließen.
Darüber hinaus geht man viel zu Fuß in Straßburg: Laut einer Studie wird ein Drittel der Fortbewegungen von Bürgerinnen und Bürgern zu Fuß durchgeführt. Der Anteil des Fußverkehrs in der Innenstadt liegt sogar bei 52%. Deswegen war das Ausmaß des Gehens in der Stadt auch ein Hauptgrund für die Entwicklung des Fußgängerplans.(2)
Ziel des Fußgängerplans ist es, den Weg für eine fußgängerfreundliche Politik zu ebnen. Mit den 10 Aktivitäten lassen sich verschiedene Zielsetzungen erreichen. Der Plan soll
- es ermöglichen, die Freude des Zu-Fuß-Gehens wieder zu entdecken (Aktion 1)
- den Platz für die Mobilität zu Fuß auf den Straßen vergrößern (Aktionen 2, Aktion 3)
- eine städtische Struktur von fußverkehrsgeeigneten öffentlichen Straßen schaffen (Aktion 4)
- die Reichweite des öffentlichen Personenverkehrs ÖPV vergrößern (Aktion 5)
- das Zu-Fuß-Gehen vom Wohnort bis zur Schule fördern (Aktion 6)
- eine Barrierefreiheit der Wege umsetzen (Aktionen 7,8,9,10)
Gibt es einen Durchführungs-Beschluss?
Der Fußgängerplan der Stadt Straßburg 2012-2020 (plan piéton de la ville de Strasbourg 2012-2020), auch „Straßburg, eine Stadt in Bewegung“ (Strasbourg, une ville en marche) genannt, wurde am 23.1.2012 vom Stadtrat beschlossen. Der Beschluss beinhaltet 10 Aktivitäten und beauftragt den Gemeindeverband „Eurométropole de Strasbourg“, bei der Entwicklung und Gestaltung des öffentlichen Raumes in der Stadt Straßburg auf die Grundsätze des Fußgängerplans aufzubauen:
- Die 10 Punkte des Fußgängerplans sollen als Maßstab in allen kommenden Straßenbau- und Stadtplanungsvorgängen gelten.
- Im Rahmen der Umsetzung eines „meisterhaften Fußverkehrsnetzes“ (réseau piétonnier magistral), das die zentralen Quartierslagen verbinden soll, wird der Gemeindeverband „Eurométropole de Strasbourg“ im Jahr 2012-2013 eine Testachse vom Hauptbahnhof (Gare centrale) bis zum Marktplatz (place du marché) in Neudorf realisieren.(3)
Wie sehen die konkreten Handlungsanweisungen aus?
Der Fußgängerplan stellt 10 Aktionen mit konkreten Handlungsanweisungen dar:
1. Das zu-Fuß-Gehen fördern:
- Veranstaltungen organisieren
- die kurzen „Fußgänger-Gehzeiten“ (temps-piéton) verdeutlichen (z.B. „in 5 Minuten erreichbar“)
- besondere attraktive Fußwege ans Licht bringen
2. Den Fußgängerinnen und Fußgängern mehr Platz gewähren:
- für den Fußverkehr zumindest 50% des Raums in der neuen Charta der öffentlichen Raumplanung widmen (die Charta wird bei Projekten von öffentlichen Straßenbauten, -sanierungen und -ausbesserungen angewendet).
3. Die Konflikte zwischen Zu-Fuß-Gehenden und Fahrradfahrenden entschärfen:
Dies soll insbesondere geschehen durch die Einrichtung neuer Fahrradwege nach einem Fußgänger-Fahrrad-Konfliktplan, der die Stärke des Konfliktes und die entsprechende Form des Fahrradweges oder der Fahrradeinrichtung einschätzen soll.
4. Stadtplanungsdokumente für eine Verbesserung der Fußbarrierefreiheit verwenden:
Das generelle Ziel ist es, ein feines Netz von zu Fuß erreichbaren öffentlichen Straßen in städtischen Gebieten dadurch zu schaffen, dass Stadtplanungsdokumente wie die lokalen Städtebaupläne (Plan Locaux d'Urbanisme) angepasst werden.
5. Die Erreichbarkeit von Haltestellen verbessern:
Bei ÖPNV-Projekten (projets TCPS) sollen stets Verbesserungen der Fußverkehrsanbindung analysiert und möglichst gleichzeitig mit der Maßnahme umgesetzt werden. Derartige Verbesserungen können beispielsweise durch die Erstellung neuer Wege oder die Optimierung und Sicherung der Überquerungen entstehen. Die Untersuchung wird auf einem 500 Meter Radius um die Stationen und Haltestellen durchgeführt. Die anfallenden Kosten müssen niedriger als 1% des Mittelbudgets für die Streckerweiterungen sein.
6. Einführung des Pédibus auf Schulwegen:
- Es sollen bis 2015 Laufbus-Strecken für alle öffentlichen Grundschulen bis 2015 in Straßburg eingeführt und auf Dauer angelegt werden legen.
7. Fußverkehr auf Tempo-50-Straßen attraktiver machen:
- Es sind neue Fußgängerüberwege anzulegen mit dem Ziel, einen Abstand von maximal 100 Metern zu erreichen.
- Besonders die Sicherheit und Zugänglichkeit der wichtigsten Fußgängerüberwege soll verbessert werden.
8. Die Übergänge an Kreuzungen für den Fußverkehr verbessern:
- Es soll eine Anpassung der Ampelschaltungen an die Bedürfnisse der Fußgänger stattfinden, z.B. durch eine Verlängerung der Grün-Zeit.
- Es sind innovative Handlungen an bestimmten komplexen Kreuzungen vorgesehen, z.B. Begegnungszonen, Ampel mit besonderen Phasen, diagonale Überquerungen.
9. Das Fußverkehrs-Wegesystem ausbauen:
- Die Wegeverbindungs-Lücken z.B. durch Verkehrsadern oder den Wasserlauf sollen geschlossen werden.
- Der Komfort für die Gehenden soll auf dem existierenden Wegesystem verbessert werden.
- Darüber hinaus sollen neue Verbindungen realisiert werden.
10. Ein „meisterhaftes Fußverkehrsnetz“ (réseau piétonnier magistral) umsetzen:
- Es soll ein fußgängerfreundliches Netz umgesetzt werden, das die weniger als zwei Kilometer entfernten zentralen Quartiersanlagen verbindet.
- Ein Testweg vom Hauptbahnhof (Gare centrale) bis zum Marktplatz (place du marché) in Neudorf soll in Zusammenarbeit mit Straßburg Eurometropole geschaffen werden.
Ist eine Bürgerbeteiligung vorgesehen?
Für die Umsetzung von einzelnen Maßnahmen finden öffentliche Sitzungen statt, z.B. für die Neugestaltung der Straße Rue du Maire Kuss.(4)
Wie werden die Vorhaben finanziert?
Es gibt keinen gewidmeten Etat für den gesamten Fußgängerplan. Wie beim Fahrradplan sind alle Maßnahmen und Einrichtungen, z.B. Fußgängerbrücken, Fußgängerübergänge, Bänke, Verbesserung der Barrierefreiheit oder der Zugänglichkeit, usw. im Etat vom Straßenbauamt integriert.
Was ist bisher umgesetzt / erreicht worden?
Das Projekt war zum Zeitpunkt dieser Beschreibung noch nicht abgeschlossen. Die folgenden Maßnahmen sind unvollständig und können nur einen Einblick bieten:
Neugestaltung der Straße „rue du faubourg de Pierre“ (im Rahmen der zehnten Aktion) durch Begrünung der Straße und Erweiterung des Raums für den Fußverkehr und für den Aufenthalt. Der vorherige Fußgängerbereich nahm 39% und der jetzige nimmt 45% des öffentlichen Raumes ein.(5)
Vorschlag für fünf zusätzliche fußgängerfreundliche Einrichtungen bei der Verlängerung der Straßenbahnlinie A an der Rudloff Haltestelle (im Rahmen der fünften Aktion und des 1% des Budgets). Die Vorschläge enthalten den Grunderwerb und die Einrichtung von Fußgängerwegen – und Übergängen, die Erhaltung eines Fußgängerzugangs zu einem Park (Parc d'Activités d'Eckbolsheim), die Einrichtung eines Fußgängerüberganges auf der Straße Impasse des Tulipes, die Einrichtung von zwei Fußgängerübergängen und die fußgängerfreundliche Optimierung einer Kreuzung.(6)
Versuch von einem neuen gesicherten Zebrastreifen auf dem Ufer Quai des Alpes (im Rahmen der siebten Aktion). Zur Verbesserung der Sichtverhältnisse müssen die Autofahrenden das Auto fünf Meter vor dem Fußgängerübergang stoppen.(7)
Straßenumbau und Optimierung der Verkehrsregelung an der Kreuzung Pont Kuss und Quai Saint Jean durch neue Zebrastreifen und Straßeneinrichtungen (im Rahmen der achten Aktion). Darüber hinaus wurde im März 2014 ein neues Ampelsystem an der Kreuzung versucht, in dem die Ampeln die noch vorhandene Überquerungszeit anzeigen. Das Projekt wurde positiv evaluiert und solche Ampeln wurden 2017 an vier weiteren Kreuzungen getestet.(8)
Neugestaltung der Straße rue de la Brigade Alsace-Lorraine im Jahr 2013 (im Rahmen der zehnten Aktion und der Erstellung des neuen Fußverkehrsnetzes). Ziel der Umgestaltung war es,
- mehr Platz für den Fuß- und Fahrradverkehr zu schaffen,
- den öffentlichen Raum durch eine Reduzierung der Steigerungen und Hindernisse und eine Verbesserung der niveaufreien Gestaltungen erreichbarer zu machen,
- Tempo 30 auf der Straße einzuführen, um den Fußgängerinnen und Fußgängern eine sichere Querung der Fahrbahnen zu ermöglichen.
- die Fortbewegungen zu sichern und die Nutzungskonflikte einzuschränken, indem die Geschwindigkeit der Fahrzeuge reduziert worden ist
- den Zu-Fuß-Gehenden attraktive Fußwege durch eine Bepflanzung der Straße und die Einrichtung neuer Verkehrszeichnen am Boden anzubieten
- das Parkplatzangebot zu behalten mit sogar einer Erweiterung des Parkplatzes am Maréchal de Lattre de Tassigny Platz.(9)
Neugestaltung der Straße Rue du Maire Kuss, die die Innenstadt und den Hauptbahnhof verbindet. Ziel war es,
- die Gehwege auf 4,30 Meter zu verbreiten und den Platz für den motorisierten Individualverkehr zu verringern,
- der Straße mit einem neuen bunten Bodenbelag den Autocharakter zu nehmen,
- die Kreuzung Straße rue du maire Kuss und Ufer quai Saint Jean umzugestalten, um die Überquerungen zu sichern und zu erleichtern. Dabei ging es auch darum, einen der Hauptzugänge zur Stadt zu verbessern und mit einer Bepflanzung zu verschönern.(10)
Quellen und Anmerkungen:
- Enquête épidémiologique nationale sur le surpoids et l'obésité, ObÉpi, Roche, 2009, Seite 38.
- Enquête ménage déplacement 2009
- Stadtratbeschluss vom 23.01.2012 „Strasbourg, „une ville en marche“ ou le Plan Piéton de la ville de Strasbourg 2012-2020“ (erster Anhang des Fußgängerplans, Seite 51-53).
- öffentliche Sitzung
- Fußgängerplan, Seite 28 mit Bildern.
- Fußgängerplan, Seite 35 mit Abbildung.
- Fußgängerplan, Seite 39 mit Abbildung.
- Fußgängerplan, Seite 42 mit Abbildung
- Website der Straßburg Eurometropole, enthält Fotos vor und nach der Maßnahme.
- Website der Straßburg Eurometropole,
Die offizielle Website der Stadt „Straßburg eine Stadt in Bewegung - Strasbourg une ville en marche“:; die PDF „Fußgängerplan Plan piéton, ville de Strasbourg 2011-2020, 23.01.2012“.
Die Beschreibung der Aktivitäten zur strategischen Förderung des Fußverkehrs in der Stadt Straßburg und damit verbunden die Übersetzung der Dokumente erfolgten im Januar 2018.